Durch rasant fortschreitende technologische Entwicklungen werden Geräte und Programme, die den Zugang zur virtuellen Realität (VR) ermöglichen, bereits in vielen Bereichen erfolgreich eingesetzt. In der Medizin behandeln Ärzte Phobien beispielsweise in virtuellen Umgebungen mithilfe der Konfrontationstherapie und können Operationen realitätsnah simulieren. Im Bereich des Marketings ist es außerdem möglich, Kund*innen in virtuellen Ausstellungsräumen zu beraten und ihnen originalgetreue Abbilder von Produkten zu präsentieren. In der beruflichen Bildung wird die Funktionsweise unterschiedlicher Maschinen zudem veranschaulicht und gefahrlos erprobt. Mehr über das enorme Potential von VR-Technologien, insbesondere in der Erwachsenen- und Weiterbildung, stellen wir in diesem Beitrag vor.
Was versteht man unter VR-Technologien?
Der Begriff Virtual Reality wird meist mit der Betrachtung medialer Inhalte über sogenannte Virtual-Reality-Brillen für Smartphones oder Head-Mounted-Displays (HMDs) assoziiert. Jedoch kamen schon in den 1980er-Jahren VR-fähige Geräte auf den Markt, welche die Darstellung räumlicher Tiefe in virtuellen 360-Grad-Umgebungen ermöglichen. Mit diesen Geräten wurden beispielsweise bereits Funktionen wie die Bewegungserkennung des Kopfes und der Hände realisiert. Ältere VR-Headsets unterscheiden sich hinsichtlich der realitätsnahen Darstellung von Inhalten jedoch gravierend von modernen HMDs wie der Oculus Rift, der HTC Vive oder der Valve Index.¹
Die Unterscheidung zwischen sogenannter nicht-immersiver VR und vollständig immersiver VR bezieht sich auf die Art des Displays und die Eingabegeräte. Es handelt sich dabei um eine rein begriffliche Unterscheidung und bedeutet keineswegs, dass Anwendungen in nicht-immersiver VR keine immersiven Eigenschaften besitzen. Beispiele für nicht-immersive VR sind Programme in 3D-Grafik, die über herkömmliche Computermonitore betrachtet werden und bei denen die Eingabe über die Kombination aus Maus und Tastatur erfolgt. Nutzer*innen nehmen die Umgebung außerhalb der Simulation dabei wahr, während ihr Sichtfeld in der virtuellen Umgebung auf den Monitor begrenzt ist.²
Bei vollständig immersiver VR wird die Wahrnehmung der virtuellen Umgebung hingegen konstant an die Positionen und Perspektiven der Nutzer*innen angepasst. Dies wird durch die vollständige Bewegungserkennung des Kopfes ermöglicht. Dasselbe gilt mitunter auch für die Eingabegeräte. Bewegungscontroller erkennen die Bewegungen der Hände und übertragen sie in die virtuelle Welt.⁴ Neben visuellen Aspekten spielen zudem auditive und haptische Reize eine wichtige Rolle für die Sinneswahrnehmung in vollständig immersiver VR. Externe Sinneseindrücke werden dabei kaum noch wahrgenommen. Dadurch tauchen Nutzer*innen nahezu vollständig in die virtuelle Welt ein.⁵
Besonderheiten und Vorzüge von VR-Technologien
Aus Sicht der Industrie vereinfachen und verbessern VR-Technologien Prozesse beim Design, der Herstellung und der Fertigung von Produkten. Bildung und E-Learning sind weitere Bereiche, in denen Anwendungen in virtueller Realität zu einem gesteigerten Lernerfolg beitragen. Dies wird durch ihre hohe Interaktivität, ihre digitale Flexibilität und durch anschauliche und faszinierende Inhalte ermöglicht. Einige ihrer größten Innovationen und Weiterentwicklungen verdankt die VR-Technologie zudem der Unterhaltungsindustrie und dem Game Design – beispielsweise in Bezug auf die Eingabegeräte und eine glaubwürdige Darstellung und Inszenierung von virtuellen Umgebungen, Objekten und Charakteren. Aktuelle Entwicklungen deuten darauf hin, dass VR-Technologien bald ebenso alltäglich werden könnten wie Smartphone-Apps. Eine Studie der PwC kommt zu dem Ergebnis, dass der Virtual-Reality-Markt in Deutschland jährlich um mehr als 19 % wachsen wird – bis zu einem Marktvolumen von etwa 280 Millionen Euro im Jahr 2023.⁶
Die Besonderheiten und Vorzüge von VR-Technologien in der Erwachsenen- und Weiterbildung sind zahlreich. Lerngegenstände werden nicht nur visuell und auditiv, sondern auch haptisch erfahrbar gemacht. Dadurch können Gefahren am Arbeitsplatz simuliert- und der Einsatz von Maschinen gefahrlos erprobt werden. Zudem können Nutzer*innen ortsunabhängig mit anderen Teilnehmenden interagieren, was den Austausch untereinander fördert. Komplexe Tätigkeiten werden dabei realitätsnah trainiert, wobei maßstabsgetreue Darstellungen in einer glaubwürdigen dreidimensionalen Umgebung Lernprozesse begünstigen. Nicht wahrnehmbare Aspekte wie Ultraschallwellen oder Luftströme können ebenfalls mithilfe von VR visualisiert werden. Im Vergleich zu Formeln oder beschreibenden Texten prägen sich visuelle Repräsentationen in VR daher häufig besser bei den Lernenden ein. Trainingsmöglichkeiten in VR sparen somit nicht nur Kosten und Ressourcen ein, sondern können an die individuellen Bedürfnisse der Teilnehmenden angepasst werden.⁷
Herausforderungen und Grenzen
Bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen zeichnet sich zumeist ein großes Interesse und eine Faszination gegenüber VR ab. Ältere Erwachsene stehen dieser Technologie womöglich skeptischer gegenüber. Die meisten Nutzer*innen haben tendenziell eher wenig Erfahrung mit VR-Technologien und schauen beispielsweise nur geradeaus, obwohl sich ihnen eine 360° Perspektive und Interaktionsmöglichkeiten bieten. Die Eingabemöglichkeiten in VR sind meist intuitiv und orientieren sich durch die Bewegungserkennung des Kopfes und der Hände an realen Gegebenheiten. Diese Möglichkeiten müssen jedoch zunächst kommuniziert und erprobt werden. Lehrpersonen können zudem durch eine interaktive animierte Figur innerhalb der virtuellen Welt repräsentiert werden. Animierte Figuren sollten dabei möglichst glaubwürdig gestaltet sein und von Expert*innen mit den nötigen Kompetenzen ausgestattet werden.⁷
Das Phänomen der sogenannten Cybersickness ist ein weiteres Problem, das sich negativ auf Erfahrungen in VR auswirken kann. Dabei führt die Diskrepanz zwischen der wahrgenommenen und der gefühlten Bewegung bei einigen Nutzer*innen zu Übelkeit und Schwindel. Diesem Phänomen wirken Softwareentwickler*innen entgegen, indem das Sichtfeld der Nutzer*innen bei Bewegungen eingeschränkt wird. Statt eine natürliche Fortbewegung zu simulieren, können sich Anwender*innen beispielsweise auch von einer Position zur nächsten teleportieren. Eine qualitativ hochwertige Software, welche derartige Hürden berücksichtigt, ist daher eine Grundvoraussetzung, um das enorme Potential von VR-Technologien in der Erwachsenen- und Weiterbildung erfolgreich auszuschöpfen.⁷
Beispiele von VR-Technologien in der Erwachsenen- und Weiterbildung
VR-Tour des Entwässerungsstollens in Sarnen
Für Schulungen von Mitarbeitenden und das Onboarding neuer Arbeitskräfte entwickelten unsere Schweizer Kolleg*innen von MPS Europa eine VR-Tour des Entwässerungsstollens in Sarnen für den Kanton Obwalden in nicht-immersiver VR. Wie eine VR-Tour entsteht, sehen Sie HIER. Eine 360°-Tour der Baustelle in Obwalden können Sie auch ohne HMD oder VR Brille unter folgendem Link genießen: ZUR BAUSTELLE.⁸
Virtuelles Trainingsprogramm der Schweizerischen Bundesbahnen
MPS Europa entwickelte außerdem ein Trainingsprogramm in vollständig immersiver VR für die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB). Mit der sogenannten “SBB Switching Off and Earthing” App kann das Bahnpersonal verschiedene Übungen mit elektrischen Leitungen und Strommasten durchführen. Die Mitarbeitenden erleben reale Situationen im Gleisbereich, ohne dabei die Sicherheit des Personals zu gefährden. Außerdem können die Schulungen häufiger durchgeführt werden, da die Teilnehmenden nicht vor Ort sein müssen. Einen Eindruck von der App erhalten Sie in diesem Video: SBB Switching Off and Earthing.⁸
Verwendete Quellen
¹ Slater, M. (2018). Immersion and the illusion of presence in virtual reality. In British Journal of Psychology, 109(3), 431-433. https://doi.org/10.1111/bjop.12305
² Alqahtani, A. S., Daghestani, L. F., & Ibrahim, L. F. (2017). Environments and System Types of Virtual Reality Technology in STEM: A Survey. In International Journal of Advanced Computer Science and Applications (IJACSA), 8(6), 77-89. https://doi.org/10.14569/IJACSA.2017.080610
³ Fahlenbrach, K., & Schröter, F. (2015). Rezeptionsästhetische Perspektiven in den Game Studies. In K. Sachs-Hombach, & J. N. Thon (Hrsg.), Game Studies: Aktuelle Ansätze der Computerspielforschung, 165-208. Herbert von Halem Verlag.
⁴ Bharathi, A. K. B. G., & Tucker, C. S. (2015, 2.-5. August). Investigating the Impact of Interactive Immersive Virtual Reality Environments in Enhancing Task Performance in Online Engineering Design Activities [Konferenzbeitrag]. In International Design Engineering Technical Conferences and Computers and Information in Engineering Conference, Boston, MA, USA, 1-11. American Society of Mechanical Engineers (ASME). http://dx.doi.org/10.1115/DETC2015-47388
⁵ Alfaro, L., Rivera, C., Luna-Urquizo, J., Alfaro, S., & Fialho, F. (2019). Knowledge Construction by Immersion in Virtual Reality Environments. In International Journal of Advanced Computer Science and Applications (IJACSA), 10(12), 609-619. http://dx.doi.org/10.14569/IJACSA.2019.0101278
⁶ PwC (2019). Studie: Deutscher Virtual-Reality-Markt wächst über die Nische hinaus. https://www.pwc.de/de/technologie-medien-und-telekommunikation/studie-deutscher-virtual-reality-markt-waechst-ueber-die-nische-hinaus.html
⁷ Zernig, N., Gruber, E., & Müllner, G. (2022). Virtual Reality in der Erwachsenen- und Weiterbildung. Wo stehen wir heute? Wo gehen wir hin? Magazin erwachsenenbildung.at, 44/45, 10, https://doi.org/10.25656/01:24482
⁸ Make Learning an Experience. (2022, 13. September). MPS Europa AG. https://www.mpseuropa.ch